Debatte um Elon Musk: Wird Annalena Baerbock die USA nun als Autokratie bezeichnen?

Die Aufregung um den Gastbeitrag von Elon Musk in der Welt ist groß. Doch dabei wird gerne vergessen: Das transatlantische Bündnis ist parteiübergreifend. Ein Kommentar.

Außenministerin Annalena Baerbock
Außenministerin Annalena BaerbockHannes P Albert/dpa

Die Aufregung ist groß über die wachsende Einmischung der Amerikaner in die deutsche Innenpolitik. Der kürzlich erschienene Gastbeitrag von Tech-Milliardär Elon Musk in der Welt, in dem er dargestellt hat, dass nur die AfD Deutschland retten könne, war erst der Anfang einer sich fortsetzenden Auseinandersetzung zwischen den amerikanischen Republikanern und den Deutschen vor den Wahlen.

Am Donnerstag hat der designierte US-Vizepräsident JD Vance die englische Übersetzung des Welt-Textes von Musk als „interessant“ kommentiert und fälschlicherweise darauf hingewiesen, dass überall, wo heute die AfD in Deutschland besonders stark abschneiden würde, vor 1945 der Widerstand gegen die Nazis besonders groß gewesen sei. Das kann man mit Bezug auf die historische Quellenlage so nicht behaupten.

Viele deutsche Kommentatoren und Politiker schäumen nun vor Wut. Sie verbitten sich eine Einmischung in ihre Innenpolitik, vermissen jetzt schon den scheidenden Präsidenten Joe Biden und wollen sich die Republikaner zumindest in Tweets und Wort-Beiträgen vom Leib halten. Aber wie soll das realpolitisch gehen?! Immerhin zieht bald Donald Trump mit seiner Entourage ins Weiße Haus ein. Er wird Joe Bidens Erbe neu verwalten müssen und einen immer noch nicht befriedeten Ukraine-Krieg moderieren. Das sind die Fakten, ob sie einem gefallen oder nicht.

Das in Deutschland zu hörende Geheule um Elon Musk wurde in der Berliner Zeitung zu Recht als doppelmoralisch kritisiert. Schließlich waren es deutsche Politiker wie Olaf Scholz und Annalena Baerbock, die sich jahrelang für ein enges transatlantisches Bündnis eingesetzt haben und nur mäßig bereit dazu waren, sich jenseits von Washington geopolitisch selbstständig zu positionieren. Sie haben in ihren Reden vergessen zu betonen, dass „transatlantisch“ bedeutet, dass man gewillt ist, sowohl mit Demokraten als auch mit Republikanern zusammenzuarbeiten. Andernfalls wäre „transatlantisch“ nur ein Lippenbekenntnis. Insofern ist der Abdruck des Musk-Textes in der Welt aus Sicht des Springer-Verlags nur konsequent. Der Verlag steht zu Amerika, egal ob Republikaner oder Demokraten an der Macht sind. Der Springer-Verlag ist transatlantisch. Schon daher wirkt auf mich die Aufregung über den Abdruck inkonsequent.

Kuriose Zeiten

Die allgemeine Aufregung ist das Symptom einer intellektuellen Verwirrung. Donald Trumps Wiederwahl hat in den deutschen Medien und in der Politik zu einem Fiebertraum geführt, in dem die eigene wertegeleitete Matrix durcheinandergewirbelt wurde. Kein Wunder! Man war sich so sicher, dass Kamala Harris zur Präsidentin gewählt wird, dass niemand intellektuell darauf vorbereitet war, als Trump als Sieger hervorging und plötzlich Sachen – etwa über die Ukraine – sagte, die man vier Jahre lang als unamerikanisch oder un-transatlantisch bekämpft hat. 

Zynisch könnte man fragen: Was wird Annalena Baerbock nach dem 20. Januar 2025 tun? Wird sie nach Washington reisen und neben dem designierten Außenminister Marco Rubio die USA als eine Autokratie bezeichnen, so wie sie (zwar faktisch korrekt, aber diplomatisch idiotisch) China als eine Diktatur bezeichnet hat? Oder wird sie plötzlich zur Realpolitikerin mutieren und in den wenigen Monaten ihrer verbliebenen Amtszeit das transatlantische Bündnis als das zelebrieren, was es ist: ein parteiübergreifendes Verhältnis zwischen Deutschland und den USA? Spannend.

Die Fehler sollten sich nicht wiederholen

Was uns diese Zeit lehrt, ist die Erkenntnis, dass wir in einer Welt voller Widersprüche leben. Wir müssen aushalten, sie zu ertragen. Was vor allem auf den Prüfstand gestellt werden muss, ist das Einteilen unserer Welt in Gut und Böse. Elon Musk ist ein wunderbares Beispiel. Ohne seine Giga-Factory in Brandenburg wäre das Bundesland viel ärmer, wie mir Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey und Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach persönlich mitgeteilt haben.

Musk setzt sich für die Visa-Vergabe von ausländischen Arbeitnehmern ein, wofür er Prügel von Identitären wie Steve Bannon erhält. Zugleich begeistert sich Elon Musk für die AfD und unterstützt Rechtsnationalisten in Europa, die Unwahrheiten über migrantische Gewalt verbreiten. Musk hat nachweislich kein Gespür für Fake News. Den Kontakt zu seiner operierten transsexuellen Tochter hat er abgebrochen und macht sich seither über LGBTQ-Rechte lustig.

Darf man deshalb Elon Musk als einen Faschisten bezeichnen? Oder ist er eher ein Opportunist, bei dem man zwischen Ideologie und Geschäftssinn nicht klar unterscheiden kann? Unser Verstand wird aktuell so stark herausgefordert wie selten zuvor. Wir sollten die Ambivalenzen erkennen, um nicht die gleichen Fehler zu machen wie die vergangenen vier Jahre zuvor. 

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