Weil alle Investoren erwarten, dass die bereits heute sehr teuren US-Aktien weiter steigen werden, braucht es wenig, um die Erwartungen zu enttäuschen.
Der Chef der US-Notenbank, Jerome Powell, ist der Grinch, der das Weihnachtsfest verderben will. Nach seinen «hawkishen» Äusserungen am Mittwoch rauschten die Börsen abwärts: Powells Mahnung, dass die Zinsen in den USA vielleicht nicht mehr wesentlich sinken würden, erwischte die Investoren auf dem falschen Fuss.
Immerhin: Am Freitag gab es ein Stück weit Entwarnung durch die Inflationszahlen vom November: Sie fielen tiefer aus als erwartet, was Powell und seine Kollegen beim nächsten Zinsentscheid womöglich etwas milder stimmt. Die Börsen stiegen wieder. Sie schlossen zwar mit einem Wochenverlust. Aber nicht so tiefrot, wie man zuvor befürchten musste.
Alles gut, also? Ich glaube nicht. Was diese Woche geschehen ist, sollte uns zu denken geben. Könnte es sein, dass wir uns einem kollektiven Denkfehler hingeben? Die Jahresausblicke von Banken und Vermögensverwaltern sind diesen Dezember noch gleichförmiger als sonst. Sie alle bauen auf eine Art American Exceptionalism, die Vorstellung, dass die bereits bemerkenswert hoch bewerteten amerikanischen Börsen weiter ansteigen werden.
Das bedingt unter anderem, dass sich die beispiellosen Investitionen der amerikanischen Techkonzerne in KI wirklich auszahlen. Dass die Wirtschaft weiterhin dynamisch wächst, aber nicht zu schnell, so dass die Teuerung weiter sinken kann. Und das trotz all den wirren Ideen von Donald Trump, angefangen von hohen Zöllen bis zur massenhaften Ausschaffung von Immigranten, auf welche die Wirtschaft dringend angewiesen ist.
Kann das funktionieren? Natürlich. Wird sich Trump im Regierungsalltag als pragmatischer erweisen als in seiner Rhetorik vor Amtsantritt? Bestimmt. Allerdings ist da auch noch Trumps «first buddy» Elon Musk. Und im Doppelpack sind die beiden Narzissten noch viel unberechenbarer. Das hat sich just diese Woche gezeigt, als Musk mit einer Serie von Tweets den Überbrückungshaushalt und die Schuldenobergrenze abzuschiessen versuchte.
Gleichzeitig sind die Erwartungen an den amerikanischen Börsen so hoch, dass es bereits bei kleinen Unsicherheiten zu Verwerfungen kommen wird. Das ist die Lektion von dieser Woche.
Ich verstehe wenig von Makroökonomie und traue mir keine Inflationsprognosen zu. Doch es würde mich nicht erstaunen, wenn die Teuerung in den USA unangenehm lange auf dem heutigen Niveau verharren würde. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass sie während der gesamten Präsidentschaft von Donald Trump über jenen 2 Prozent bleiben wird, welche Jerome Powell eigentlich anstrebt.
Bemerkenswert sind ja auch die Unterschiede bei den Langfristzinsen in Europa und den USA: Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen liegen bei 4,53 Prozent und damit beinahe doppelt so hoch wie in der Euro-Zone. Auch bei diesen Zahlen deutet nichts auf wundersame Zinssenkungen hin, welche die Kurse von amerikanischen Aktien nächstes Jahr beflügeln könnten.
Gleichzeitig sind die Erwartungen für Europa und China so tief, dass schon kleine positive Überraschungen deren Börsen kräftig ansteigen lassen werden.