Die Polizei hat den mutmasslichen Täter festgenommen. Unter den Toten ist ein Kleinkind.
Auf einem Weihnachtsmarkt in der ostdeutschen Stadt Magdeburg in Sachsen-Anhalt ist ein Autofahrer am Freitagabend in eine Menschengruppe gerast. Bei der Tat sind laut übereinstimmenden Berichten mindestens vier Personen getötet und 200 Personen verletzt worden. Zuvor war von mindestens zwei Toten und siebzig Verletzten die Rede. Die Zahl der Todesopfer könne weiter steigen.
Der Täter ist laut einem Polizeisprecher mehr als 400 Meter über den Weihnachtsmarkt gefahren und hat dabei zahlreiche Menschen erfasst. Auf dem Weihnachtsmarkt wimmelte es von Rettungswagen und Sanitätern. Verletzte wurden laut Berichten von Augenzeugen an einer grossen Weihnachtspyramide versorgt. Zur weiteren Versorgung von Verletzten wurden Zelte aufgebaut, mehrere verletzte Personen wurden weggetragen. Ein Sprecher des Universitätsklinikums sagte der Deutschen Presse-Agentur, Intensivbetten würden bereitstehen. Mehrere Opfer mussten in die Universitätsklinik Halle geflogen werden.
Die Polizei konnte offenbar einen Verdächtigen festnehmen. Laut Ministerpräsident Haseloff und der Polizei soll es sich um einen aus Saudiarabien stammenden Mann handeln, der in Bernburg als Arzt gearbeitet und gelebt habe. Der Ort liegt rund 50 Kilometer südlich von Magdeburg. Landesinnenministerin Tamara Zieschang sagte, der Mann sei 2006 erstmals nach Deutschland gekommen und habe einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Den Behörden soll er nicht negativ aufgefallen sein.
Die Ermittler sprechen von einem atypischen Täter, da er älter ist, aus Saudiarabien stammt, als Arzt arbeitete und schon lange in Deutschland lebt. Zudem soll er in Deutschland politisches Asyl gesucht haben. Profile, die ihm in den sozialen Netzwerken zugeordnet werden, weisen ihn als Aktivisten aus, der vor allem Frauen aus Saudiarabien beriet, wie sie flüchten und im Ausland Asyl beantragen können. Er wurde dazu auch vor einigen Jahren von Zeitungen porträtiert. Der Mann bezeichnete sich als Ex-Muslim.
Allerdings machte der mutmassliche Täter auch mit kruden Thesen auf sich aufmerksam: In seiner Biografie auf der Plattform X heisst es unter anderem, dass Deutschland weibliche saudische Flüchtlinge jage, um ihr Leben zu zerstören, und dass Deutschland Europa islamisieren wolle. Der «Spiegel» wertete mehrere Social-Media-Konten des mutmasslichen Täters aus, die zeigen, dass er Anhänger der AfD war. Eine saudische Quelle sagte der Nachrichtenagentur Reuters, das Königreich habe die deutschen Behörden vor dem Angreifer gewarnt, der auf seinem persönlichen X-Account extremistische Ansichten gepostet habe.
Bei dem Vorfall handelt es sich nach Angaben von Sachsen-Anhalts Regierungssprecher Matthias Schuppe «vermutlich um einen Anschlag». Auch der Stadtsprecher Michael Reif sprach nach erstem Kenntnisstand von einem Anschlag. Sprengstoff wurde im Auto nicht gefunden. Dies war zunächst befürchtet worden. Momentan gehen die Ermittlungsbehörden laut Polizei davon aus, dass der mutmassliche Täter alleine handelte. «Wir kennen noch keine Hintergründe zur Tat, wir ziehen alles in Betracht», sagte eine Sprecherin der Polizei auf Nachfrage.
Ein Handyvideo zeigt die Festnahme des Verdächtigen. In dem Clip ist zu sehen, wie ein Polizist seine Waffe auf den Verdächtigen richtet und ihm zuruft, sich hinzulegen: «Die Hände auf den Rücken!» und «Bleib liegen!» Der Mann legt sich neben einem schwarzen – sichtbar beschädigten – Auto auf den Boden und befolgt die Anweisungen. Schliesslich kommt Verstärkung, mehrere Polizisten springen aus dem Einsatzwagen und umkreisen den am Boden liegenden Verdächtigen. Der Polizist weist seine Kollegen an, «nicht so nah ran» zu gehen.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz schrieb auf der Plattform X: «Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Wir stehen an ihrer Seite und an der Seite der Magdeburgerinnen und Magdeburger.» Scholz wird am Samstag nach Magdeburg reisen. Am Abend soll es im Dom eine Gedenkfeier geben. Auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (ebenfalls SPD) will dazu nach Magdeburg kommen.
Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat von CDU und CSU, schrieb ebenfalls auf X: «Das sind sehr bedrückende Nachrichten aus Magdeburg». Seine Gedanken seien bei den Opfern und ihren Angehörigen.
«Die Vorfreude auf ein friedliches Weihnachtsfest wurde durch die Meldungen aus Magdeburg jäh unterbrochen», erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier laut Mitteilung. «Noch sind nicht alle Hintergründe der schrecklichen Tat aufgeklärt. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Ich danke allen Rettungskräften für ihren Einsatz.»
In Deutschland wird Ende Februar ein neues Parlament gewählt. Der mutmassliche Anschlag fällt somit in eine wichtige Phase des Wahlkampfs, in dem die Themen innere Sicherheit und Migration eine prominente Rolle spielen.
Fast auf den Tag genau vor acht Jahren hatte der Islamist Anis Amri einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gesteuert. Nach dem schweren Terroranschlag waren dreizehn Tote und Dutzende Verletzte zu beklagen.
Der Tunesier war im Juli 2015 von Italien über die Schweiz nach Deutschland eingereist. Anschlagspläne hegte er laut einem nach dem Anschlag eingesetzten Untersuchungsausschuss offenbar schon damals. Der abgelehnte Asylbewerber war den Behörden als islamistischer Gefährder bekannt.
Zum Jahrestag des Anschlags hatte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser am Mittwoch gesagt: «Wie gross die Bedrohung durch islamistischen Terror ist, haben die Attacken in Solingen und Mannheim in diesem Jahr auf furchtbare Weise gezeigt.» Die Sicherheitsbehörden hätten die islamistische Szene im Visier.
Am Samstagabend findet im Magdeburger Dom eine Gedenkfeier statt. Man wolle Betroffenen, Angehörigen und allen anderen Bürgern eine Möglichkeit zum Trauern geben, sagte Oberbürgermeisterin Simone Borris am Abend unter Tränen vor Journalisten. «Wir werden eine lange Zeit zum Trauern brauchen», sagte sie sichtlich fassungslos.
Die Stadt Magdeburg lässt in den kommenden Tagen alle Kultureinrichtungen geschlossen, Theater, Puppentheater und auch andere Spielstätten, wie der Stadtsprecher Michael Reif sagte.
Bundesinnenministerin Faeser teilte mit, sie werde am Samstag gemeinsam mit Bundeskanzler Scholz nach Magdeburg kommen, «um unser tiefes Mitgefühl auszudrücken und den Einsatzkräften zu danken.» Haseloff sagte am Abend: «Der Kanzler wird morgen vorbeischauen und hier mit uns die Lage bewerten und auch sicherlich mit uns gemeinsam nicht nur trauern, sondern auch entsprechend Massnahmen besprechen, die notwendig sind.»
Die Bundesinnenministerin hatte zuletzt wiederholt zu Wachsamkeit bei Weihnachtsmarktbesuchen aufgerufen. Konkrete Gefährdungshinweise gebe es aktuell nicht, sagte die SPD-Politikerin Ende November.
Mit Agenturmaterial