In Köln dürfen Muezzins einmal wöchentlich zum Gebet rufen. Die Oberbürgermeisterin der Stadt sieht dies als Ausdruck von Freiheit und Vielfalt. Tatsächlich fördert sie damit den politischen Islam. Das Verbot von Minaretten in der Schweiz erscheint rückblickend als hellsichtige Entscheidung.
Bald rufe der Muezzin auch in der Schweiz zum Gebet, warnten die Initianten der Minarett-Initiative im Jahr 2009. Wo ein Minarett stünde, da sei der Muezzin nicht weit. Deshalb dürfe dieses religiöse und politische Machtsymbol gar nicht erst gebaut werden. Billige Polemik, befanden linke und bürgerliche Politiker. Die Initiative zum Verbot von Minaretten verletze die Religionsfreiheit, sei potenziell rassistisch und ganz sicher unverhältnismässig: Wo, bitte, stehen in der Schweiz Minarette? Die Vorstellung, dass Muezzins zum Gebet rufen könnten, galt als Hysterie, als Angstkampagne.
Die Minarettinitiative wurde mit 58 Prozent angenommen, nur vier Kantone lehnten ab. Seither steht in der Schweizer Bundesverfassung unter Artikel 72, Absatz 3: «Der Bau von Minaretten ist verboten.» Die Volksabstimmung war ein internationaler Skandal. Die NZZ schrieb, ein Imageschaden für das Land sei wahrscheinlich. Der bekannte Genfer Soziologe Jean Ziegler witterte sogar eine «Pogromstimmung» gegen Muslime. Bedenkt man heute, wie etwa die deutsche Politik mit dem Islam umgeht, neigt man dazu, die Minarett-Initiative gnädiger zu beurteilen.
Die Stadt Köln startet gerade ein Pilotprojekt. Während zweier Jahre erhalten die Moscheen die Erlaubnis, freitags zum Gebet zu rufen. Mit Auflagen, versteht sich. So darf der Aufruf zum Gebet höchstens fünf Minuten dauern, und er muss zwischen 12 und 15 Uhr stattfinden. Die Nachbarschaft muss vorab mit einem Flyer informiert werden; und mit der Lautstärke dürfen es die Muezzins nicht übertreiben. Kurzum, es ist alles schön deutsch.
Henriette Reker, die Kölner Oberbürgermeisterin, preist Köln als die Stadt der «Freiheit und Vielfalt». Wer am Hauptbahnhof ankomme, werde vom Dom begrüsst und von Kirchengeläut begleitet. Viele Kölner seien Muslime, und darum sei es «ein Zeichen des Respekts», wenn der Muezzin-Ruf gestattet werde. Reker ist eine Altbekannte im deutschen Aufregungsdiskurs. Nach den massenhaften sexuellen Übergriffen am Kölner Silvester 2015/16 gab sie Frauen den Tipp, zu Unbekannten immer «eine Armlänge Abstand» zu halten.
Auch Rekers Erklärungen zum Muezzin-Pilotprojekt lösten gleich Zuspruch und Empörung aus. Zwar ist der Muezzin-Ruf keine Premiere in Deutschland, in zahlreichen Städten ist er unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. In Köln, wo die Ditib-Zentralmoschee steht, ein massiger Bau mit 55 Meter hohen Minaretten und Platz für über 1000 Gläubige, ist der Entscheid nun aber besonders umstritten.
Das hat auch mit der unseligen Geschichte dieser Moschee zu tun. 2018 hätte sie im Rahmen eines Volksfestes eröffnet werden sollen. Deutsche Spitzenpolitiker blieben dem Bau aber fern, stattdessen reiste der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan an. Ditib steht für die «Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion», der Verband ist dem türkischen Religionsamt (Diyanet) angegliedert. Dieses sendet auch die Imame für rund 900 türkische Moscheen nach Deutschland.
Die Behörde funktioniert als verlängerter Arm von Erdogan. Obschon dies schon lange bekannt ist, versorgte der deutsche Staat den Verband über Jahre mit Geldern für Integrationsprojekte. Im Herbst 2018 nahm das Bundesamt für Verfassungsschutz dann Ditib als Prüffall unter verschärfte Beobachtung wegen verfassungsfeindlicher Aktivitäten. Hintergrund waren Spionagevorwürfe gegen 19 Ditib-Imame, die im Auftrag der türkischen Regierung Gülen-Anhänger in Deutschland ausspionierten.
Die Geschichte der Ditib-Zentralmoschee in Köln dokumentiert die Naivität deutscher Behörden im Umgang mit islamischen Organisationen. Vor dem Bau machte der türkische Verband dem damaligen Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma Zusagen, dass die Predigten auf Deutsch gehalten würden und die Moschee eine Begegnungsstätte für Angehörige verschiedener Religionen werden solle. Während des Baus wechselten dann die Ansprechpartner. Die neuen Ditib-Funktionäre kamen aus der Türkei und sprachen kein Deutsch. Im Keller der Moschee wurde schon vor Bauende gepredigt, allerdings auf Türkisch. Zur Eröffnung war der einstige Oberbürgermeister, einer der grössten Förderer der Moschee, erst nicht eingeladen.
Wenn man sich vergegenwärtigt, wie Ditib die Kölner Politik ausgetrickst hat, mutet die Erlaubnis für den Muezzin-Ruf besonders grotesk an. Was die Stadtregierung bei allem Bemühen um Toleranz nicht begriffen zu haben scheint: Hier geht es um Politik, Gebietsanspruch, um Zugriff auf Menschen. Ditib verkündet den türkischen Islamismus und Nationalismus von Erdogans Prägung. Der Vergleich des Muezzins mit den kirchlichen Glocken ist schön, aber nicht stimmig. Das Läuten der Kirchenglocken ist ein akustisches Signal, der Ruf des Muezzins ist ein Glaubensbekenntnis, das die Suprematie des Islams zum Ausdruck bringt: «Allah ist gross. Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt ausser Allah. Ich bezeuge, dass Mohammed Allahs Gesandter ist. Eilt zum Gebet.»
Eine Stadt im Westen, die diese Verkündung erlaubt, verrät ihre eigenen Werte. Und sie wird damit ihr Ziel, Toleranz und Integration zu fördern, kolossal verfehlen. Viele Nichtmuslime dürften für das Muezzin-Projekt wenig Verständnis haben – laut einer Umfrage des Erfurter Sozialforschungsinstituts Insa-Consulere sind 61 Prozent der Deutschen gegen die Erlaubnis des islamischen Gebetsrufs.
Viele liberale Muslime, die wegen der Zwänge des politischen Islams nach Deutschland geflohen sind, dürften das Zugeständnis ebenfalls kritisch sehen. Es bleiben die Islamverbände und ihre Mitglieder. Sie wird insgeheim wohl vor allem die Selbstverleugnung des Westens beschäftigen. Mitglieder einer Kultur, die stark von Stolz und Respekt geprägt ist, werden sich wundern, wie schlecht man die Kölner Behörden behandeln darf. Und wie viel man für diese schlechte Behandlung politisch herausschlagen kann.
Öffentlich würden sich die Ditib-Funktionäre selbstverständlich so nicht äussern. Im Gegenteil, da spielt man gern die Opferkarte. Insofern darf man sogar von einer gelungenen Integration sprechen. Wie viele andere Minderheiten auch haben die Ditib-Funktionäre den Triggerpunkt der Deutschen schnell gefunden: Rassismus. Auf nichts reagieren deutsche Behörden sensibler. Daneben kennen die Islamverbände mittlerweile auch die Schlüsselwörter, die die Deutschen im Dialog hören möchten: Respekt und Toleranz. Im Keller kann man dann immer noch predigen, was man will.
So dürfte der falsch verstandene Kampf für Toleranz bei liberalen Muslimen Ablehnung und Enttäuschung auslösen, bei Islamisten wiederum Verachtung. Dass daraus der Wunsch entsteht, sich in diese Gesellschaft zu integrieren, ist zu bezweifeln. Radikale werden den Islam vor allem als Möglichkeit sehen, um das deutsche Identitätsvakuum zu füllen.
Befürworter des Muezzin-Rufs argumentieren oft mit der Religionsfreiheit. Für die religiöse Praxis und die Versammlung ist der Ruf in Zeiten von Uhren und Handys aber nicht mehr nötig. Serap Güler, die Integrations-Staatssekretärin von Nordrhein-Westfalen, sagt: «Als Muslima brauche ich den Muezzin-Ruf nicht, um meine Religionsfreiheit ausleben zu können.» Viele Muslime würden es ähnlich sehen. Die Erlaubnis für den Muezzin-Ruf ist also nichts anderes als eine irritierende Form von kultureller Anpassung seitens der Mehrheitsgesellschaft.
Nach der Annahme der Minarett-Initiative sinnierte die NZZ etwas ratlos darüber, was die Motive der Bevölkerung gewesen sein mögen, eine solche Initiative anzunehmen: «War die Einwanderung gemeint? Die geistige Orientierungslosigkeit? Das wilde Geschehen in der weltweiten und hiesigen Wirtschaft?» Was wollte das Stimmvolk eigentlich sagen? Eine Erklärung ist vielleicht, dass viele Bürgerinnen und Bürger weniger die Angst vor dem Islam umtreibt als vor den eigenen Politikern – Akteuren wie Henriette Reker, die in selbstgerechter Weise den politischen Islam fördern. Und so die Öffentlichkeit in einer Weise verändern, wie es sich viele Menschen nicht wünschen.
Die Minarett-Initiative steht für Symbolpolitik. Aber man darf deren Funktion trotzdem nicht unterschätzen. Die Bürger gaben ein Misstrauensvotum gegen die politische Klasse ab; es war der Versuch, einen Riegel zu schieben, wo die Widerstandskräfte der Politik nicht ausreichend schienen. Folgenlos bleibt ein solches Symbol nicht, es justiert die Politik wieder. Die Deutschen würden wohl ähnlich stimmen, wie die Umfrage nahelegt. Sie sind ihren Politikern und deren Vorstellungen von Toleranz aber stärker ausgeliefert.
Die Schweiz sorgte mit der Minarett-Initiative international für Schlagzeilen. Dass dies dem Image des Landes bei Muslimen geschadet hätte, kann nicht wirklich festgestellt werden. Im Gegenteil erscheinen in deutschen Zeitungen Artikel wie: «Warum Muslime so gerne in die Schweiz reisen.» Musliminnen und Muslimen ist es zumutbar, in Europa auf andere Bedingungen zu stossen als in ihren Herkunftsländern. Die meisten dürften sich diese Andersartigkeit geradezu wünschen. Ob mit Minarett und Muezzin oder ohne, die Religionsfreiheit ist gewährleistet.
Nun kann man einwenden, dass dies ja alles schön und recht, die Debatte aber trotzdem fürchterlich aufgebauscht sei. Gehe es doch um einen Gebetsruf, der maximal 5 Minuten lang und nur einmal wöchentlich stattfinde. Dazu sollte man sich den Weg noch einmal vergegenwärtigen, den Köln mit der Ditib-Zentralmoschee gegangen ist: Man wollte ein Haus der interkulturellen Begegnung bauen, in dem der Islam auf Deutsch gepredigt wird. Geschaffen hat man ein islamistisch-nationalistisches Zentrum im Geiste Erdogans. Wer nach dieser Geschichte glaubt, es bleibe bei den 5 Minuten, wiegt sich selbst schon in die Welt der Märchen.
"Die Selbstverleugnung im Namen der Toleranz nimmt groteske Züge an": Ein britischer Lehrer wurde unlängst vom Dienst suspendiert, weil er im Unterricht eine Karikatur des Propheten Mohammed gezeigt hat. Der Schulleiter entschuldigte sich für das 'völlig unangebrachte' Handeln des Mannes. Unglaublich, aber leider wahr: Mitten in Europa werden hart erkämpfte Werte der Aufklärung in Form von kritischer Vernunft und Toleranz mit den Füßen getreten. Und was hört man hierzu von unseren tapferen "Kämpfer*innen" für "Vielfalt" und "Toleranz"? Entweder dröhnendes Schweigen, törichtes und gefährliches Apeasement oder vorauseilende Selbstverleugnung. Erbärmlich!
Was für ein erfrischender Artikel! Endlich jemand, der die Wahrheit spricht. Und Hut ab vor der NZZ, die hier sogar Kritik an der eigenen Berichterstattung abdruckt. Die Deutschen sind heute noch, 76 Jahre nach Kriegsende, vom Wahn verfolgt, auf Respekt und Toleranz zu machen. Sie sehen nicht, wie ihre eigene Gesellschaft seit Jahrzehnten vom Islam, vor allem türkischer Prägung, rigoros unterwandert wird. Und die Tendenz ist praktisch unaufhaltbar. Das wird auch langfristige Auswirkungen auf Europa haben.